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Enterprise Knowledge Graph als Trendtechnologie für CIOs
(Das Original des Artikel finden Sie auf LinkedIn.)
Handelsblatt, eine große deutsche Wirtschafts- und Finanzzeitung, veranstaltet jährlich die Jahrestagung zum Thema IT-Strategien. Aufgrund von Covid fand dies im letzten Jahr vor allem durch Online-Interviews mit CIOs und CDOs und einer anschließenden Fragerunde für das Publikum statt. Die Sessions wurden von Prof. Brenner von der Universität St. Gallen sehr ansprechend moderiert. Als CEO eines Softwareherstellers in Deutschland ist es für mich sehr wichtig zu verstehen, wo die Top-IT-Manager unserer Kunden und potenziellen Interessenten die größten Herausforderungen für die IT sehen - heute und in Zukunft. Interessanterweise liefert dieses Forum Meinungen von CIOs aus Unternehmen, die einem breiten Spektrum von Märkten angehören. Natürlich konzentrierte sich die Diskussion auf Covid-bezogene Themen. Aber ich möchte mich in diesem Artikel nicht auf diese Aspekte konzentrieren. Vielmehr möchte ich den Schwerpunkt auf die technologischen und geschäftlichen Trends und ihre Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle legen.
Neue Geschäftsmodelle auf Grundlage von Plattformen und Ökosystemen
Die Personalisierung des Angebots war eines der zentralen Themen, die beispielsweise der CIO von Henkel, Michael Nilles, diskutierte. Er verwendete den Begriff "Hyper-Personalisierung", um Digital Native Vertical Brands (DNVB) anzusprechen. Ein Beispiel wäre ein personalisiertes Shampoo, das auf der Grundlage einer individuellen Haarstrukturanalyse beim Friseur erstellt werden könnte. Natürlich würde das Produkt direkt zu Ihnen nach Hause geliefert werden, da der Einzelhandel bei diesem individualisierten Geschäftsmodell keinen Sinn ergibt.
Um das zu ermöglichen, bräuchte man eine groß angelegte digitale Plattform-Infrastruktur, die die Sammlung von Kundendaten und deren Analyse ermöglicht, auf der schließlich die individualisierte Produktion und Logistik basieren würde. Die Plattform würde auch als Ökosystem fungieren, eine Gemeinschaft, in der beispielsweise Anbieter und seine Kunden online verbunden sind und Dienstleistungen angeboten werden könnten. Im Falle der Automobilhersteller ist die Losgröße 1 der richtige Begriff, um das Ziel der Individualisierung zu erreichen. Die Fähigkeit, personalisiertes Flashing (Software) over the Air zu liefern, ist eine starke technologische Anforderung, die eine End-to-End-Verfügbarkeit von Produktdaten über den gesamten Produktlebenszyklus voraussetzt, einschließlich der fahrenden Fahrzeuge selbst und der von ihnen produzierten Sensordaten. Autos werden als mobile Geräte mit Sensoren betrachtet, die mit der physischen Welt verbunden sind, ähnlich wie Telefone, die eine Vielzahl von Diensten anbieten, die Gegenstand neuer mobiler Geschäfts- und Einkommensströme sind. Aus diesem Grund benötigen Autos Betriebssysteme (OS), auf denen die neuen Dienste eingerichtet werden können. Gleichzeitig schützt ein Betriebssystem die mechatronischen Systeme vor der zusätzlichen technischen Komplexität, die durch die Dienste entsteht.
Daher ist daten- und softwaregesteuertes Fahren für die Automobilhersteller der Schlüssel zum Erfolg. Beate Hofer, CIO von Volkswagen, erklärte, dass das Unternehmen auf dem Weg ist, ein Softwareentwickler zu werden, der Mobilitätsdienste auf der Grundlage einer digitalen Produktionsplattform anbietet, welche die gesamte Lieferkette integriert. Natürlich hat der Wettbewerb in der New Economy dazu beigetragen, diesen Prozess bei den Automobilherstellern noch weiter voranzutreiben. Der gleiche Trend gilt für intelligente Gebäude und intelligente Städte [1].
Traditionelle Geschäftsmodelle
Das datengesteuerte Geschäft steht heutzutage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Betrachtet man jedoch die Analyse von KUKA CIO Quirin Görtz, so ist ein erheblicher Teil des Geschäfts immer noch traditionell, im Falle von Kuka 70 %. Um ihre IT-Strategie abzuleiten, analysierte Kuka ihre Unternehmensfähigkeiten, welche für die Durchführung von Geschäften erforderlich sind (als Annahme wurden detaillierte Geschäftsfähigkeiten ausgewählt, da umfassende Prozesse zu oft geändert werden). Es wurde festgestellt, dass die Geschäftsfähigkeiten entlang dreier Dimensionen klassifiziert werden können:
- Bereiche der Innovation 5-10%
- Bereiche der Differenzierung 20%
- Standardprodukte 70-75%
Auf der Grundlage dieser Analyse hatte das Unternehmen ein schrittweises Fähigkeitsmodell entwickelt, aus dem man sein IT-Investitionsschema ableiten konnte. Knorr-Bremse CIO Michael Hilzinger berichtete von einem ähnlichen Ansatz, um seine Investitionsstrategie zu erhalten. Traditionelle Geschäftsmodelle basieren in der Regel auf gewachsenen Infrastrukturen, auf IT-Landschaften, die eher einem Brownfield als einem Greenfield ähneln und auf meist funktionalen, in Silos organisierten Organisationsstrukturen. Um Thomas Mannmeusel, CIO bei Webasto, frei zu zitieren: "Ziele werden Funktionen zugeordnet, aber wir arbeiten in Prozessen". Das bedeutet, dass es Herausforderungen bei der Erfassung des Gesamtprozesses gibt, da Silos die effiziente Bereitstellung von Daten an die Geschäftsrollen entlang des Prozesses behindern. So führt Webasto Process Mining durch, um Prozesse zu verbessern, ist aber auf SAP-Systeme beschränkt, da die Daten über den Gesamtprozess hinweg keine semantische Konnektivität aufweisen. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass es ein Ziel sein sollte, Silos zu überwinden, da diese Anwendungen typischerweise tiefes vertikales Know-how verwalten. Es deutet lediglich auf einen Mangel an Konnektivität und Geschäftskontext über den gesamten Prozess hin.
Vom traditionellen Geschäft zu neuen Geschäftsmodellen
Mario Krause, CIO von Ergo, hat ein Ziel vor Augen, das in der Finanzbranche oft unter dem Stichwort "Know Your Customer" (KYC) diskutiert wird. Als Hindernis für den Übergang von Altsystemen zum "hybriden Kunden", der synchronisiertes Cross-Selling über verschiedene Vertriebskanäle wie Freiberufler, Direkt- und Online-Vertrieb ermöglicht, nennt er Silos. Um die Harmonisierung voranzutreiben, müssen die “Hausaufgaben” gemacht werden. Und das ist in der Regel in allen Brownfield-Branchen eine Voraussetzung. Man kann sein Kerngeschäft nicht ignorieren, es sei denn, man investiert in ein völlig unabhängiges neues Geschäft, wie es Merck (James Kugler, CDO bei Merck) und Palantir getan haben [2]. Sie kombinieren das Markt-Know-how und den Kundenstamm von Merck und verkaufen gemeinsam Softwarelizenzen.
Datengesteuerte Geschäftsplattformen nutzen KI, aber es fehlt der Geschäftskontext
Was all diese geschäftlichen Umgestaltungen gemeinsam haben, ist die Kommodifizierung von Daten. Sei es zur Verbesserung des Kundenservices durch die Analyse des Bremsverhaltens von Fahrzeugen, gewonnen aus technischen Sensordaten physischer Geräte, zur Optimierung der Produktionseffizienz durch die Analyse von Maschinendaten oder zur Verbesserung des Vertriebs durch die Auswertung von Kundentransaktionen bei Versicherungen und Banken. Um die benötigten Geschäftserkenntnisse zu gewinnen, machen Datenwissenschaftler regen Gebrauch von Analyseplattformen. Allerdings oft mit begrenztem Erfolg, da die oben genannten “Hausaufgaben” nicht ausreichend oder gar nicht gemacht wurden und somit der Geschäftskontext fehlt. In vielen Fällen wurden in der Vergangenheit in verschiedenen Branchen große und teure Projekte (oft in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen Euro) durchgeführt, um die Daten ganzer Prozesse in einer integrierten monolithischen Lösung zu konsolidieren. Sie scheiterten jedoch in zahlreichen Fällen daran, dass sich die zugrunde liegenden Geschäftsanforderungen schneller änderten, als die Projekte umgesetzt werden konnten. Das lag nicht nur daran, dass Top-Down-Wasserfall-Methoden anstelle von agilen Methoden eingesetzt wurden, sondern auch an der Komplexität der Projekte selbst. Ein negativer Nebeneffekt war, dass gut etablierte vertikale Lösungen oft eliminiert wurden und das Geschäft verloren ging.
Geschäftskontext repräsentiert das Wissen über Prozesse
Das eigentliche Ziel solcher Projekte war es, eine prozessübergreifende Datenkonnektivität herzustellen. Aus ganzheitlicher Sicht stellt die Konnektivität von Geschäftsobjekten den Geschäftskontext dar, in den bestimmte Geschäftsvorgänge entlang des Prozesses eingebettet werden müssen. Was bedeutet das? Was den hybriden Kunden betrifft: Alles über ihn, seine Transaktionen und seine Verbindungen zu anderen Geschäftspartnern und Unternehmen zu wissen, ist in einem Vertriebsprozess, der im Falle großer Banken oder Versicherungen eine Vielzahl von global verteilten Vertriebssystemen umfasst, nicht so einfach zu erreichen.
Ohne diese Konnektivität könnten KI-basierte Geldwäscheanwendungen jedoch nur begrenzten Erfolg haben, da ihnen die notwendigen Daten über die gesamte Customer Journey fehlen. Ich vermute, dass die Herausforderung dieselbe sein wird, wenn es darum geht, die Customer Journey mit der End-2-End Company Journey in Einklang zu bringen, was ein Geschäftsziel ist, über das Beiersdorf-CIO Annette Hamann berichtet. Im Falle von Bosch, dessen CIO Vijay Ratnaparkhe über Probleme im Zusammenhang mit der Verbesserung von Komponenten sprach, die im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Unternehmen hergestellt werden, ist es von entscheidender Bedeutung, die gesamte Wertschöpfungskette bis zu dem Produktionshaus zurückverfolgen zu können, in dem das Bauteil hergestellt wurde. Ähnlich wie im Finanzbereich werden Prozessdaten in verschiedenen Systemen von nicht miteinander verbundenen Personen gepflegt, sogar über Unternehmensgrenzen hinweg, sodass es an Konnektivität und Geschäftskontext mangelt.
Wie lässt sich Geschäftskontext mit Hilfe von Enterprise Knowledge Graphs herstellen?
Beim geschäftlichen Kontext geht es um Daten und die semantische Interpretation der Daten im Kontext eines Geschäftsprozesses. Wir müssen die Argumentation über die Daten von den Daten selbst unterscheiden. Algorithmen für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen können nur so gut sein wie die Trainingsdaten, mit denen sie gefüttert werden. Wenn also Transaktionen untersucht werden sollen, z. B. im Hinblick auf die Aufdeckung von Betrug oder Geldwäsche, ist es sinnvoll, die ML-Technologie mit dem Netzwerk von Entitäten zu füttern, das den semantischen Kontext des erwarteten Verbrechensszenarios bildet. Dies könnte durch die Verknüpfung aller potenziellen und verfügbaren relevanten Datenquellen geschehen, z. B. der Daten aller beteiligter CRM-Systeme (Skalierbarkeit in Bezug auf die automatische Generierung von Graphen ist daher eine wichtige Voraussetzung). Im Falle der Rückverfolgbarkeit der Produktwertschöpfungskette eines diskreten Herstellers könnte das relevante Netzwerk von Entitäten die Datenkonnektivität über den gesamten Produktlebenszyklus sein.
Hier ist es wahrscheinlich nicht ausreichend, nur die Sensordaten der Produkte zu analysieren, die in einem Data Lake gespeichert sind. Beide Beispiele verdeutlichen, dass der geschäftliche Kontext durch die Verknüpfung der Daten hergestellt wird, um eine geschäftliche Bedeutung zu erhalten. Dies lässt sich am besten durch eine technologische Methodik namens Enterprise Knowledge Graph erfassen. Letztere stellen das Wissen des Unternehmens durch verbundene Geschäftsobjekte über Prozesse und sogar über Unternehmensgrenzen hinweg dar. Sie können als Abstraktionen von den Geschäftsprozessen betrachtet werden und sind von den Autorensystemen (CRM, ERP, PDM, Data Lakes, etc.) entkoppelt, von denen sie auf agile und automatisierte Weise berechnet und aktualisiert werden. Daher ermöglichen sie eine leichtgewichtige Integration von Daten über Prozesse hinweg, die ein Enterprise Long-Term Memory darstellen. Auf diese Weise könnte ein "zukünftiger fühlender Organismus", wie ihn Siemens-CIO Hanna Hennig beschreibt, KI/ML mit einem unternehmensweiten Gehirn kombinieren, um sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen. Datenwissenschaftler könnten solche semantischen Strukturen mit KI/ML-Methoden kombinieren, um ihre Erkenntnisse zu verbessern. Enterprise Knowledge Graphs können genutzt werden, um im Fall von Geldwäsche die Verbindung zwischen den Punkten herzustellen oder den hybriden Kunden zu materialisieren, aber auch um Rückverfolgungsfunktionen bereitzustellen, wie sie für die Rückverfolgbarkeit von Produkten, die Vorhersage von Auswirkungen von Änderungen oder Wartungsaufgaben gefordert werden. Mit anderen Worten, sie können in verschiedenen Branchen und Geschäftsszenarien eingesetzt werden, um Geschäftskontext zu liefern - überall dort, wo der Einsatz komplexer Konnektivität erforderlich ist, um Geschäftseinblicke zu fördern. Ein großer Vorteil ist, dass sie automatisch aus vorhandenen Unternehmensdaten berechnet werden können. Sie fungieren als prozessübergreifende, leichtgewichtige Datenkonnektivitätsgeräte und können ohne Änderung der bestehenden Prozesse implementiert werden. Der Return on Investment ist somit innerhalb von Wochen gegeben. Enterprise Knowledge Graphs werden von allen großen Tech-Plattformen wie Amazon, Google, Facebook, etc. verwendet, um Geschäftsobjekte zu verbinden und geschäftlichen Kontext über Personen oder Produkte und andere Inhalte zu liefern. Ich denke, es ist an der Zeit, dass sie auch in industriellen Umgebungen eingesetzt werden.